Wir brauchen mehr Zeit für das Handschreiben in der Schule

Umfrage unter Lehrkräften zeigt Probleme mit dem Handschreiben, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten

Die große Mehrheit der Lehrkräfte in Deutschland sieht eine Verschlechterung der für die Entwicklung einer Handschrift notwendigen Kompetenzen bzw. der Handschrift der Schülerinnen und Schüler allgemein. Dies geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) gemeinsam mit dem Schreibmotorik Institut von September 2018 bis Januar 2019 durchgeführt hat. Die Studie trägt den Titel STEP 2019 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben“). Es beteiligten sich bundesweit über 2.000 Lehrkräfte an der Online-Befragung.

„Das Schreiben mit der Hand ist genauso wichtig wie das Lesen und die Rechtschreibung“, sagt Dr. Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des gemeinnützigen Schreibmotorik Instituts. „Es geht dabei nicht in erster Linie ums Schönschreiben oder um eine Kulturtechnik, die heute mehr oder weniger verzichtbar erscheint. Beim Handschreiben – das belegen auch zahlreiche Studien – geht es um Bildung. Handschreiben unterstützt die Rechtschreibung, das Lesen, das Textverständnis, letztlich die schulischen Leistungen insgesamt.“ Diese positiven Wirkungen sehen auch über 90 Prozent der befragten Lehrkräfte.

Allerdings fehlt es an den Bedingungen, das Handschreiben besser zu fördern. Fast drei Viertel der Lehrkräfte geben an, dass häufig zu wenig Zeit für individuelle Förderung in der Schule sei, 64 Prozent, dass häufig zu wenig Zeit für das Üben in der Schule bleibe. Über die Hälfte sagen, dass der Lehrplan zu wenig Wert auf das Schreibenlernen lege. Außerdem fehlen häufig Fortbildungsangebote und Hilfestellungen für die Lehrkraft.

Für Brandenburg liegen leider keine verwertbaren statistischen Zahlen vor. Dafür haben zu wenig Brandenburger Lehrerinnen und Lehrer an der Online-Befragung teilgenommen. Der Präsident des Brandenburgischen Pädagogen-Verbandes Hartmut Stäker meint zu dieser Befragung: „Die Studie bestätigt das, was man oft im Unterricht beobachten kann: Es gibt zwar noch Kinder, denen das Schreiben leicht fällt. Aber es gibt immer mehr Kinder, denen das Schreiben mit der Hand große Mühe bereitet. Manche wissen nicht, wie sie den Stift richtig halten sollen. Andere verkrampfen beim Schreiben so sehr ihre Hand, dass sie nach wenigen Worten unterbrechen müssen. Da das Handschreiben aber eine sehr wichtige Komponente beim Verinnerlichen von Texten ist, muss es ständig gepflegt werden. Doch im Unterricht fehlt häufig die Zeit, das Tafelbild abschreiben zu lassen oder den Merktext mittels Diktat aufschreiben zu lassen. Dann wird das Tafelbild zum Abfotografieren mit dem Handy freigegeben oder der Text als Kopie an die Schüler verteilt. Fehlende Zeit ist hier das Problem, Zeit zum Schreibenlernen und Zeit zum Schreibenüben. Erst recht, wenn zu Hause nicht die nötige Hilfe oder Unterstützung gegeben werden kann.“

Kernergebnisse der Studie:

  • Bewertung Handschrift: Nur vier Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer im Sekundarbereich sind mit der Handschrift ihrer Schüler zufrieden. Grundschullehrkräfte sagen, dass mehr als ein Drittel der Kinder (37 Prozent) Probleme hat, eine gut lesbare, flüssige Handschrift zu entwickeln. Lehrkräfte von weiterführenden Schulen sehen im Schnitt sogar bei 43 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten.
  • Probleme: Jungen sind deutlich stärker betroffen: Nach Einschätzung der Lehrerinnen und Lehrer in der Primarstufe haben 45 Prozent der Jungen Probleme mit dem Handschreiben, aber nur 29 Prozent der Mädchen. In der weiterführenden Schule haben nach Lehrermeinung sogar 53 Prozent der Jungen Probleme und nur 33 Prozent der Mädchen. Nur zwei von fünf Jugendlichen in der Sekundarstufe können 30 Minuten und länger beschwerdefrei schreiben. Zudem stellen die Lehrkräfte schulformübergreifend zu 93 Prozent eine unleserliche Schrift fest, zu 91 Prozent zu langsames Schreiben. Die Auswirkungen machen sich besonders im Sekundarbereich bemerkbar.
  • Ursachen: Vor allem zu wenig Routine, schlechte Motorik und Koordination sowie Konzentrationsprobleme gaben über zwei Drittel der Lehrkräfte als häufige Problemursachen an. Auch die fortschreitende Digitalisierung der Kommunikation und der zu starke Medienkonsum werden von mindestens der Hälfte der Befragten als problematisch empfunden. Außerdem fehlt es an Zeit und Verankerung im Lehrplan.
  • Handlungsmöglichkeiten: Fast alle Lehrkräfte sprechen sich für mehr feinmotorische Aktivitäten, wie basteln, malen und kochen, aus. Drei Viertel der Befragten denken, dass ein spezielles schreibmotorisches Training, mehr Üben zu Hause und in der Schule sowie das Wecken von Interesse am Handschreiben helfen könnten. Hier sind auch die Eltern als Rollenvorbilder gefragt. Fast 70 Prozent sehen, dass es mehr individuelle Förderung und gezielte Hilfestellung auch in höheren Klassen braucht.

Diese Einschätzung teilt auch Dr. Diaz Meyer: „Eine verstärkte Förderung des Schreibens mit der Hand sollte vom Kindergarten bis in die weiterführenden Schulen und zu Hause gewährleistet werden. Die interdisziplinäre Forschung, wie das Handschreiben gefördert werden kann, ist zudem auszuweiten.“ Eine Studie belege, dass schon eine Stunde schreibmotorisches Training pro Woche ausreicht, damit Kinder signifikant besser und schneller schreiben lernen. Stäker betont: „Schreiben mit der Hand ist essenziell. Es fördert Denkprozesse und hilft beim Lernen. Dies kann für das Tippen auf der Tastatur nicht bewiesen werden. Die Politik muss also das Handschreiben wieder stärker in der Schule verankern, ob im Lehrplan oder durch mehr personelle Ressourcen für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler und vor allem mehr Zeit.“

In der Befragung wurde auch darauf eingegangen, ob das Schreiben mit digitalen Endgeräten geeignet ist für den Unterricht. Während über 90 Prozent der Lehrkräfte Stift und Papier als gut geeignete Schreibmedien empfinden, tun dies mit Blick auf Tastatur und Computer 22 Prozent der Grundschullehrkräfte und 61 Prozent der Sekundarschullehrkräfte. Immerhin fast jede fünfte Grundschullehrkraft und fast die Hälfte der Sekundarschullehrkräfte findet die Kombination aus Tablet und Stift gut geeignet. Das Smartphone fällt jedoch durch: Drei Viertel der Grundschullehrkräfte und 59 Prozent der Sekundarschullehrkräfte hält es für schlecht bis kaum geeignet. Stäker folgert daraus: „Wenn man beim Einsatz von digitalen Endgeräten auf die Nutzung von privaten Geräten der Schüler setzt, ist das Smartphone das falsche Gerät. Diese Geräte müssen mindestens die Größe von Tablets haben und mit Eingabestiften nutzbar sein. Dafür muss die Politik sorgen.“

Die Charts zur Studie können unter diesem Link angesehen werden: https://www.vbe.de/service/meinungsumfragen/handschreiben-2019/

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