Gesundheitsrisiko Lehramt – wenn Überlastung krank macht

Die anhaltende Überlastung von Lehrkräften wird zu einem Risiko. Nicht nur für die Betroffenen, auch für die Zukunft funktionierender Schulen.

Leider war das zu erwarten, was wir nun Schwarz auf Weiß vorliegen haben, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Die anhaltende Überlastung bereits vor Corona und der enorme Mehraufwand in der Pandemie machen die Lehrkräfte zunehmend krank.“ So fasst Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), die jüngst veröffentlichten Daten aus der von forsa im Namen des VBE durchgeführten Berufszufriedenheitsumfrage zusammen.

Von den 1.300 Schulleitungen, die bundesweit befragt wurden, gab die Hälfte an, dass es in den letzten Jahren vermehrt zu langfristigen Ausfällen im Kollegium gekommen sei. Ob physische oder psychische Erkrankung spielt hierbei keine Rolle. Die Werte gleichen sich. In der letzten Befragung dieser Art, im Jahr 2019, war es „nur“ ein Drittel der Schulleitungen, die diese Tendenz im eigenen Kollegium sah. Beckmann hierzu: „Für uns ist der Gedanke unerträglich, dass Menschen, die ihr Herzblut in die Bildung unserer Kinder stecken, unter Bedingungen arbeiten müssen, die sie krank machen. Jede zweite Schulleitung sieht, dass Lehrkräfte der Überlastung nicht mehr standhalten können. Einige Schulformen, wie zum Beispiel Grund- oder Haupt-, Real und Gesamtschulen, sind besonders stark betroffen. Wenn nicht schleunigst ein Umdenken stattfindet, die Schulen bedarfsgerecht finanziert werden und der Lehrkräftemangel angegangen wird, wird das „Kartenhaus Schule“ über kurz oder lang zusammenbrechen. Wovor wir seit Jahren warnen, wird nach fast zwei Jahren Pandemie erschreckend deutlich.

Pädagogische Entwicklungen stehen auf dem Spiel

Die Überlastung und Lehrkräftemangel bergen nicht nur ein Gesundheitsrisiko in sich, sie bedrohen auch den Erfolg wichtiger pädagogischer Weiterentwicklungen. Hierzu Beckmann: „Die Politik lädt seit Jahren Projekte zur Weiterentwicklung von Schule auf die Lehrkräfte ab, ohne sie mit angemessenen Ressourcen auszustatten, getreu dem Motto, die die an Schulen Beschäftigten werden das Problem schon lösen. Egal ob Inklusion, Integration oder Demokratisierung: sie finden in der alltäglichen Umsetzung auf dem Rücken der Lehrkräfte statt. Knapp zwei Drittel der Schulleitungen sehen Mehrbelastung für fast alle Lehrkräfte in ihren Schulen. An den Grundschulen sind es sogar 70 Prozent. Wenn die Schulen für die an sie gestellten Herausforderungen nicht entsprechend ausgerüstet werden, lassen sich diese wichtigen und notwendigen Projekte nicht umsetzen“, so Beckmann. Neben der Lösung des Lehrkräftemangels fordert der VBE multiprofessionelle Teams zur Unterstützung der Lehrkräfte im Schulalltag.

Schulleitungen wird ausreichende Hilfe verweigert

Schulleitungen fühlen sich in Fragen der Gesunderhaltung ihres Kollegiums angesichts der sich seit Jahren zuspitzenden Situation zunehmend hilflos. Hatten 2019 immerhin noch 40 Prozent von ihnen den Eindruck, sie hätten ausreichende Möglichkeiten zur Gesundheitsförderung, ist es aktuell nur noch knapp ein Viertel. An Grundschulen kann sogar nur jede fünfte Leitung zufriedenstellend Einfluss auf die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen nehmen.

Die Kultusministerien scheinen auch keine große Hilfe zu sein, wie Beckmann weiter ausführt:

Nicht einmal ein Viertel der Schulleitungen erachten die Gesundheitsangebote der Kultusministerien als ausreichend. Dabei liegen die Lösungen eigentlich auf der Hand und müssen von der Politik endlich beherzt angegangen werden. Neben Maßnahmen wie Supervision und Fortbildungen – und zwar müssen diese aus unserer Sicht auch während der Dienstzeit stattfinden können – braucht es vor allem eine Entlastung der Schulleitungen und Lehrkräfte. Konkret: geringere Unterrichtsverpflichtungen, kleinere Lerngruppen und Unterstützung durch multiprofessionelle Teams. Der Mangel der letzten Jahre wird in dieser Pandemie zu einem existenziellen Problem. Wir brauchen jetzt eine Fachkräfteoffensive. Wenn wir nicht sofort starten, stehen wir in sieben Jahren, so lange dauert die Ausbildung der Lehrkräfte mindestens, vor dem gleichen Problem.“

Schulleitungen resignieren nach zwei Jahren Pandemie

Eine weitere brisante Erkenntnis der Umfrage: Schulleitungen sind zunehmend hoffnungslos. Ein Viertel derjenigen, die nicht ausreichend zur Gesunderhaltung beitragen können, antworten auf die Frage nach gewünschten Möglichkeiten und Verbesserungen mit „weiß nicht“. Dieser Wert hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt. Was das bedeutet, weiß Beckmann:

Schulleitungen sind hochqualifizierte Fachkräfte. Sie tragen die Verantwortung für teils hunderte Schülerinnen und Schüler, sind Vorgesetzte für das Kollegium. Sie machen seit Jahren alles Erdenkliche, um die Mängel des Systems abzufedern. Wenn Sie auf die Frage ‚Was wünschen Sie sich?‘ nicht antworten können, kann das nur eines bedeuten: Sie haben mit der Hoffnung, dass sich etwas verändern könnte abgeschlossen. Sie resignieren. Sie haben das Gefühl, die Politik lässt sie mit ihren Sorgen und Nöten allein. Da passen die im November veröffentlichten Ergebnisse der Umfrage zur Berufszufriedenheit, in der jede fünfte Schulleitung sagt, sie werde in zehn Jahren keine Schule mehr leiten.

Die repräsentative Berufszufriedenheitsumfrage unter Schulleiterinnen und Schulleitern wird seit 2018, im Auftrag des VBE, durch forsa erhoben und umfasst mehr als die veröffentlichten Zahlen zur Gesundheit der Lehrkräfte. Eine Veröffentlichung der übrigen Ergebnisse fand am 26. November 2021 statt. Weitere Informationen finden Sie hier.

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